Lichttechniken des Schattentheaters

"Wo Licht ist, ist auch Schatten". Dies alte Sprichwort gilt auch umgekehrt: "Wo Schatten ist, muss auch Licht sein" oder "Ohne Licht kein Schatten". Im Folgenden wird erläutert, wie man einen "gewünschten" Schatten gezielt erzeugen kann.

Lichtquellen

Licht breitet sich von der Quelle strahlenförmig nach allen Seiten aus. Bei einem punktförmigen Licht wäre der Schatten immer scharf. Wie wir aber in der Natur sehen können, sind fast alle Schatten am Rand unscharf. Alle Lichtquellen haben eine bestimmte Ausdehnung, die größer ist als nur ein Punkt. Die Unschärfe variiert mit dem Abstand der Lichtquelle zum Gegenstand und zur Projektionsfläche. Um die Unschärfe zu minimieren, könnte man den Abstand der Lichtquelle vom Gegenstand sehr groß wählen. Da aber die Helligkeit mit dem Abstand quadratisch abnimmt, sind dem schnell Grenzen gesetzt. Eine Ausnahme bildet die Sonne: Sie ist so hell, dass ihr Licht selbst bei diesem großen Abstand stark ist und ihre Lichtstrahlen – wegen der großen Entfernung nahezu parallel – einen klaren und scharfen Schatten werfen.

Um die Unschärfe von Schatten zu minimieren, besteht die Möglichkeit, einen Gegenstand so nah wie möglich an die Projektionsfläche zu bringen. Dabei ist der Schatten ähnlich groß wie der Gegenstand. Je größer der Schatten gegenüber dem Gegenstand erscheinen soll, desto weiter muss der Gegenstand von der Projektionsfläche entfernt und zur Lichtquelle verschoben werden. Hierbei nimmt allerdings die Unschärfe zu.

Unschärfe Unschärfe

In unserer Umwelt wird das Licht selbst bei nur einer einzigen (nahezu) punktförmigen Lichtquelle von allen Gegenständen, auf die es trifft, reflektiert. Diese Reflexionen wirken als neue Lichtquelle und hellen den direkten Schatten auf. Ein Beispiel für eine solche indirekte Lichtquelle ist der Mond: Er reflektiert das Sonnenlicht.

Um den Kontrast zwischen Licht und Schatten zu erhöhen, verstärkt man die Helligkeit des Lichts. Je mehr Lichtstrahlen von einer Lichtquelle durch einen Reflektor umgelenkt und/oder durch Linsensysteme gebündelt werden, desto mehr Licht fällt auf die Projektionsfläche und vor allem: desto weniger Licht fällt auf die Umgebung, von der unerwünschte Reflexionen ausgehen. Eine unerwünschte Reflexion kann auch von den schattenwerfenden Gegenständen hervorgerufen werden. Daher sollten auch sie – sofern sie nicht direkt am Schirm anliegen – schwarz sein. So hellen sie den eigenen Schatten nicht auf. Mattschwarze Vorhänge an der Bühne verhindern weiterhin Reflexionen von Streulicht.

Da aber auch Reflektoren und Linsensysteme kein absolut punktförmiges Licht aussenden können, entstehen immer noch unscharfe Ränder um die Schatten, die sich verstärken, je weiter der Gegenstand von der Projektionsfläche entfernt ist.

Effekte mit unscharfen Schatten

Ein unscharfer Schatten kann auch gewollt sein. Bedrohliche Schatten oder magische Dämpfe haben im Unscharfen eine gesteigerte Wirkung. Bewegte Objekte in der unscharfen Ebene (im Zwischenraum Lichtquelle – Schirm, nahe an der Lichtquelle) können erstaunliche Erscheinungen visualisieren. Mit einem sich drehenden Drahtgestell kann man z.B. den Eindruck eines laufenden Springbrunnens oder eines Wasserfalls erreichen. Dieser Effekt beruht darauf, dass sich die Schnittpunkte der Schatten, welche die Drähte werfen, in der Bewegung je nach Drehrichtung nach oben oder unten bewegen.

Mehrere Lichtquellen

Mehrere Lichtquellen werfen auch mehrere Schatten. So entsteht, wenn sich die Schatten überlappen, ein Kernschatten in dem Bereich, in den keine Lichtstrahlen gelangen. Am Rand jedoch werden die Schatten der verschiedenen Lichtquellen von immer mehr Licht anderer Quellen aufgehellt, es entstehen Halbschatten. Haben die Lichtquellen verschiedene Farben, haben auch die Halbschatten verschiedene Farben und das Licht mischt sich additiv bei Überschneidungen.

xxx Farbiges Licht

Farbiges Licht kann durch farbige Scheinwerfer oder Projektoren mit Dias erzeugt werden. Auch sie werfen schwarze Schatten, umhüllen sie jedoch mit Farben. Eine Projektion mit bemalten Glasdias ermöglicht – sofern die Projektion unscharf gestellt wird – einen aquarellartigen, farbigen Hintergrund, mit dem verschiedenste Stimmungen erzeugt werden können. Mit weiteren Projektoren können Überblendungen realisiert werden. Das ermöglicht ein Spielen mit den Farben.

Hat der Gegenstand, der den Schatten auf die Projektionsfläche wirft, einen gewissen Abstand zur Projektionsfläche, springt der Schatten, wenn von einer auf eine andere Lichtquelle überblendet wird, da die Okulare der Projektoren, auch wenn sie nebeneinander stehen, mindestens den Abstand der Breite eines Projektors voneinander haben. Will man den Effekt des Springens minimieren, gibt es die Möglichkeit, über Spiegel oder Prismen die Okulare optisch zusammenrücken zu lassen.

xxx Spiegel

Partielle Lichtprojektionen

Zusätzlich zu der vollflächigen Ausleuchtung des Schattenschirms können Projektionen von partiellen "Lichtbildern" gezielt Erscheinungen auf die Projektionsfläche werfen (z.B. Mond, Geister, Erscheinungen). Der Effekt kann durch Projektion von speziell erstellten Dias erreicht werden. Dazu werden Zeichnungen im Negativ-Repro-Verfahren in Dias verwandelt. Die Linien der Zeichnung erscheinen dann auf der Projektionsfläche als leuchtende Linien.

Auf einfache Weise kann man diesen Effekt auch erreichen, wenn man eine Röhre baut, in deren einem Ende sich eine punktförmige Lichtquelle befindet, deren anderes Ende mit einer Negativ-Schablone des leuchtenden Objekts abschließt. Um innere Reflexionen auszuschließen, muss die Röhre innen schwarz ausgekleidet sein. Eine solche "Lichtkanone" hat den Vorteil, dass sich die "Lichtfigur" leicht auf dem Schirm bewegen lässt.

xxx Mondprojektion

Lichtquellen direkt am Schirm

Sind Lichterscheinungen fest mit Kulissen oder Figuren verbunden, können diese auch direkt an der Projektionsfläche erzeugt werden. Kleine Birnen oder Leuchtdioden, die begrenzt auf den Schirm leuchten, zaubern eine Aura um eine Figur oder bringen eine Laterne zum Leuchten. Das Streulicht dieser Lichtquellen muss gegen die Umgebung abgeschirmt werden, damit keine unerwünschten Aufhellungen oder Schatten entstehen.

Führungs- und Beleuchtungstechniken

Führungs- und Beleuchtungstechnik bedingen einander und sollen hier kurz dargestellt werden. Traditionell halten die Chinesen, die Inder, die Indonesier und die Türken ihre Schatten- und Schemenfiguren direkt an die Projektionsfläche. Somit ist der Schatten scharf und die Lichtquelle kann so groß sein, wie sie will. Früher waren es Öllampen, heute werden eine oder auch mehrere starke Lampen oder Leuchtstoffröhren zur Beleuchtung benutzt. Das Licht kommt schräg von oben oder unten und die Spieler können direkt am Schirm agieren. Sobald die Figur von der Leinwand entfernt gehalten wird, wird die Unschärfe wegen der diffusen Lichtquelle (teilweise verwendet man sogar ein Lichtbecken) massiv verstärkt. Die Spieler haben einen großen Bereich, in dem sie, ohne einen eigenen Schatten zu werfen, agieren können.
Wird eine gerichtete gebündelte Lichtquelle verwendet, so können Figuren auf mehreren Ebenen aneinander vorbeigeführt werden, ohne zu sehr an Schärfe einzubüßen. Auch Binnenstrukturen werden deutlicher und differenzierte Bewegungen sind besser darstellbar. Allgemein gilt: Je schärfer der Schatten, desto differenzierter müssen die Bewegungen der Figuren ausgeführt werden.

In der indonesischen Spieltechnik sitzt der Schattenspieler hinter der frei hängenden Lichtquelle (klassisch als Öllampe) im Schneidersitz, so kann der Spieler nicht in den Lichtkegel geraten, aber seine Sicht ist evtl. behindert. Zur zusätzlichen Animation kann die Lichtquelle in Schwingung gesetzt werden. Die Figuren werden an Stäben geführt und Figuren, die gerade nicht bewegt werden, stecken in einem Bananenstamm, der quer unter der Leinwand liegt.

xxx Indonesische Projektionstechnik

In China, Indien und der Türkei werden die Figuren direkt an der Leinwand geführt und die Beleuchtung kommt diffus von oben oder von unten. Der Spieler kann agieren ohne den Schatten zu stören. Ruhende Figuren werden mit ihren Stäben zwischen Leinwand und einer Unterlage festgeklemmt.

xxx Chinesische Projektionstechnik

xxx Türkische Projektionstechnik

Bei punktförmigem Licht, fest hinter dem oder den Spielern angebracht, oder als Handlampe mobil, kann das schattenwerfende Objekt (Mensch, Gegenstand oder Figur) in dem gesamten Raum zwischen Lichtquelle und Projektionsfläche animiert werden. Es können sowohl mehrere Objekte durch eine Lichtquelle als auch ein Objekt durch mehrere Lichtquellen projiziert werden. Durch die Veränderung von Abstand und Projektionswinkel der drei Größen, Lichtquelle, Objekt und Projektionsfläche kann der Schatten vergrößert, verkleinert oder verzerrt werden. Da jedoch auch die Halogen- Strahler nicht wirklich punktförmig sind (je höher die Lichtausbeute sein soll, desto größer – und damit weniger punktförmig – muss der Glühwendel sein), nimmt die Rand- und Binnenstrukturschärfe mit dem Abstand vom schattenwerfenden Objekt zur Projektionsfläche ab.

Heute arbeiten die meisten europäischen Bühnen mit einer punktförmigen oder gerichteten Lichtquelle (Halogenlampe ohne Reflektor oder Projektor). Mit einem Filmprojektor oder einem Beamer als Lichtquelle sind dynamische Hintergründe erzielbar. Beide Quellen sind jedoch nicht punktförmig, sondern gerichtet. Da gerichtetes Licht im Vergleich zu punktförmigem Licht nur einen geringeren Schärfebereich zulässt, ist der bespielbare Abstand des Objekts zur Projektionsfläche geringer. Feststehende Lichtquellen bieten mehr Stabilität der Projektion, handgeführte mehr Dynamik. Je nach zu vermittelndem Inhalt sind einzelne Lichtquellen mehr oder weniger geeignet. Durch eine Kombination von unterschiedlichen Lichtquellen ist ein Instrumentarium vorhanden, das Inszenierungen einen weiten Raum eröffnet. Bei gleichzeitiger Verwendung mehrerer Lichtquellen steigt jedoch die Gefahr von unerwünschten Schatten durch Spieler oder Objekte.

xxx Projektionkombinationen

Eine weitere Variante bietet die Benutzung eines Overhead- Projektors. Die Figuren können sowohl auf der Glasfläche des Projektors als auch direkt an der Projektionsfläche geführt werden. Für diese Spieltechnik eignen sich auch weniger stabile Figuren (Pappe, Folie, etc.), sofern sie auf dem Projektor liegen. Improvisationen mit Objekten und transluzilen Materialien sind so möglich. Bei Verwendung von Acrylbecken auf dem Projektor können z.B. Fließeffekte (Wasser/Öl/Farbe) oder Sandmalereien realisiert werden. Der Spieler kann dabei sowohl auf der Zuschauerseite vor der Projektionsfläche als auch dahinter sitzen. Auch diese Variante kann durch mehrere Projektoren als auch durch andere Lichttechniken ergänzt werden.

xxx Projektion mit Overheadprojektor

Durch die Vielzahl der Möglichkeiten ist keine Bühne gezwungen, sich einem Primat der Technik zu unterwerfen, sondern kann sich für ihre Inszenierung, die dem zu vermittelnden Inhalt, ihrem technischen Repertoire und ihren Fähigkeiten angemessene Technik auswählen.

Reinhard Köhler