Mimi und die atemlose Stille

Schattentheater Vagantei Erhardt fasziniert mit seinem Figurenspiel in der Burg

Hagen. Hochseilartistin Mimi wagt Schritt für Schritt. Ihre Hand umfasst den Schirm. So hält sie Balance. Das Publikum fiebert mit, verfolgt alles in atemloser Stille, ist verzaubert. Das Schattentheater Vagantei Erhardt hat die Hochseilartistin, eine gelenkige, hölzerne Schattenspielfigur, ins rechte Licht gerückt.

Der Heimatverein Burg zu Hagen holte Frieder Paasche und sein vierköpfiges Ensemble vom Schattentheater Vagantei Erhardt aus Hannover nach Hagen. Passend zur Ausstellung "Figuren in Licht und Schatten", die der Sammler Frieder Paasche zur Zeit in der Burg zeigt, präsentierten die Akteure des Schattenspiels das bunte Varieté-Programm. "Im Tingeltangel ist was los". Im halbrunden, winzigen Lichtkreis entstand eine sprühende Revue.

Heiter verfolgte das Publikum den Auftritt Mister MacMoons, der als Ersatzpianist eine leicht fehlerhafte Interpretation des türkischen Marsches ablieferte. Mit der im Rhythmus strickenden Else und dem taktschlagenden Theo in der ersten Reihe lauschten sie dem Auftritt der Comedian Harmonists, denen sie beim singen bis tief in die Kehle gucken konnten. Beim Hit: "Ein Freund, ein guter Freund" entpuppten sie sich als die Drei von der Tankstelle. Zauberer David Copperfield ließ seiner Magicbox einen schwarzen Kater entsteigen und zauberte mit "More Horsepower" ein "87 PS starkes Motorrad" auf die Bühne.

Dass bei der exakt im Takt gerittenen Pferdedressur auch die Pferdeäpfel im Takt fielen, rief nicht nur eine besorgte Raumpflegerin in den Lichtkreis, sondern jede Menge schallendes Gelächter hervor. Spannungsgeladene Stille lag in der Luft, als Macky Messer seine neun Messer in Richtung Partnerin warf und sie selbstverständlich nicht traf. Verzückt lauschten die Gäste der Sängerin Chantal, die zu ihrem Song aus dem Musical "Cabaret" in dunkel- erotisches Rot getaucht einen gekonnten Striptease bot.

Frieder Paasche fertigt alle seine Spielfiguren aus hauchdünnem Propeller-Sperrholz selbst. Über 500 verschiedene sind es inzwischen geworden. Seine schwierigste und neueste Figur ist die Hochseilartistin Mimi, die mit 17 verschiedenen Bewegungsarten ausgestattet ist und von zwei Bühnenakteuren in perfekter Harmonie im Lichtkreis animiert wird. "Infiziert vom Schattenspiel wurde ich schon als ich sechzehn Jahre alt war" berichtete er. Seit 1987 arbeitet die fünfköpfige Truppe mit Ingrid und Frieder Paasche, Harm Bleckwenn, Heiko Schulz und Reinhard Köhler professionell zusammen. Sie gestalten ihre Programme selber, ziehen vagabundierend mit ihrer Schattenbühne umher und verzaubern das kleine und große Publikum.

Nach der Pause gaben sich die Clowns Hugo und August musikalisch die Ehre. Der Hypnotiseur Freiherr von Dracula forderte mit lauten "Om-Om"-Rufen zu einer Reise in eine Welt zwischen Traum und Alptraum auf und ließ den Sensenmann mit dem schönen Mädchen einen Wiener Walzer tanzen. Das fünfköpfige Philharmonieorchester mit Oboe, Trompete, Geige, Cembalo und Kontrabass lud zum Klassikkonzert unterm brennenden Kronleuchter.

Zum absoluten Augen- und Ohrenschmaus aber wurde die Darbietung der Florence Foster Jenkins mit ihrer Arie "Königin der Nacht". Eine alte Schellack-Aufnahme gab den Originalton wieder, bei der sie keinen einzigen richtigen Ton traf. Erheitert und vom mit den steigenden Koloraturen immer länger werdenden Hals der Sängerin noch weiter angestachelt, lachte das Publikum Tränen. "Super!", "Köstlich!" und "Zauberhaft!" rauschten die Kommentare mit viel Beifall durch den Saal.

Meike Döscher

Nordsee Zeitung